Fantastischer Vortrag von Tobias Lindemann (ab Minute 37:30): „Die Mauer muss weg“. Er spricht von der Stadtmauer in Nürnberg, meint aber die Mauer als Symbol für Engstirnigkeit in den Köpfen der Bewohner, Politik und Stadtverwaltung. Gerade mit Blick auf die Bewerbung Nürnbergs zur Kulturhauptstadt 2025 sind Erkenntnissen über das Bauwerk und die Wirkung auf Nürnberg außerordentlich interessant. Tobias bahnt sich den Weg durch die Geschichte des erdrückenden Bollwerks, das natürlich über die Jahrhunderte immer wieder Wandel, Umbau, Rekonstruktion und Projektion unterworfen war. Leider sind die Folien in dem Video nicht gut zu erkennen, aber die Tonspur mit ihrem angenehm schnippischen Unterton reicht auch.
Das ganze mündet nun schließlich in dem Aktionsbündnis: Noris ohne Mauer.
Die Webseite ziert folgendes Manifest:
Nürnberg schickt sich momentan an, im Jahr 2025 Europäische Kulturhauptstadt zu werden. Ein Unterfangen, das bizarr anmutet, denn für eines ist Nürnberg sicher nicht bekannt: für eine progressive Geisteshaltung und eine zukunftsorientierte Kultur. Schon 1992 erkannte das Nachrichtenmagazin Der Spiegel in Nürnberg “die langweiligste Großstadt Deutschlands”. Wenig hat sich seither verändert. Es herrscht ein Kleinmut, der sich lieber mit der ach so grandiosen Geschichte der Stadt beschäftigt, als gegenwärtige kulturelle Strömungen wahrzunehmen. Diese Engstirnigkeit hat in den vergangenen Jahren viele KünstlerInnen, MusikerInnen und andere Kulturschaffende dazu veranlasst, Nürnberg zu verlassen. Ein kreativer Exodus, der die Situation zusätzlich verschärft. Die Dagebliebenen werden mit Ritterfestspielen und hirnlosen Events wie der Blauen Nacht ruhiggestellt.
Warum ist das in Nürnberg so? Ein Vergleich mit anderen deutschen und europäischen Städten zeigt schnell, wodurch diese in der Vergangenheit verhaftete Geisteshaltung begründet ist. Als einzige Stadt seiner Größe hat es Nürnberg verpasst, sich im 18. und 19. Jahrhundert seiner Stadtmauer zu entledigen. Nach der großteiligen Zerstörung im Zweiten Weltkrieg wurde dieses grässliche Bauwerk sogar wieder aufgebaut und soll aktuell für die unglaubliche Summe von 10 Millionen Euro saniert werden! Historisch ist an dieser Mauer fast nichts, vielmehr ist sie abschreckendes Beispiel für ein historisierendes Retro-Bauen. Sie ist das unübersehbare Symbol für die vielen Tränen, die in Nürnberg einer vermeintlichen guten, alten Zeit nachgeweint werden.
Doch es ist noch nicht zu spät! Historische Fehler können auch behoben werden! Holen wir endlich den Abriss der Nürnberger Stadtmauer nach!
Schließt Euch dem Bündnis “Noris ohne Mauer” an! Wir fordern die Stadtregierung Nürnbergs auf, ein deutliches Zeichen für eine von Mauern befreite Stadt zu setzen und stellen ein Ultimatum bis zum 31. Mai 2017. Sollte sich bis dahin kein politisches Einlenken abzeichnen, sehen wir uns gezwungen, selbst Hand anzulegen!
Eine grundsolide Aktion ist das. Hut ab. Die Berichte in der Lokalpresse über das Vorhaben häufen sich in den letzten Tagen und die Kommentatoren in den bekannten sozialen Netzwerke überschlagen sich gleich mit. Siehe beispielsweise bei nordbayern.de oder bei den Altstadtfreunden auf Facebook. Der Nerv wurde voll getroffen. Dabei wird vor allem eins deutlich: wen man sich mit Kultur und vor allem der Gegenwartskultur beschäftigen und, im Fall Nürnberg, präsentieren möchte, dann kommt man um Aktionen wie diese, die mit Ironie, mit Offenheit und dem Anzweifeln von Ist-Zuständen spielen, nicht drumherum. Kunst funktioniert genau so. Möchte man Hauptstadt der Kunst und Kultur sein, dann muss man das nicht nur aushalten, sondern eben auch produzieren können.
Ich möchte daher Ronald Reagan recht geben: Mauern gehören abgerissen, auch die Mauern in Nürnberg.