Nürnberg Impressionen August 2012 – Edition Gostenhof

Nürnberg Impressionen #17 - Gostenhof 06: Pseudogentrifizierung

Dies war dann vorerst der letzte Fotowalk mit Terence Jones. Nach den eher etwas blutleeren Ecken der Fotospaziergänge der letzten Wochen war zum Abschluss dann Gostenhof dran. Jenes Viertel in Nürnberg das durchaus das Prädikat „lebendig“ verdient. Es ist zwar auch hier noch genug Luft nach oben übrig, aber für Nürnberger Verhältnisse ist in dieser Ecke noch am ehesten was los. Man sieht, dass mehr Menschen unterwegs und draußen sind als anderswo in der Stadt. Es gibt recht viele Läden, Büdchen, Bars und sonst wie Orte, an denen Leben stattfindet und es wird in Gostenhof mit der Stadt gelebt, sprich es wird modifiziert, gestaltet, verändert, geprägt. So wie es sich gehört. Auch wurden wir vergleichsweise oft angesprochen. Mit unseren Kameras und unseren grenzdebilen Blicken auf Fassaden sind wir dann wohl doch aufgefallen. Z.B. passierten wir die Straße in der das Foto der hübschen Unbekannten am Geländer für die Nürnberger Presse entstanden ist. Die Puppe war mittlerweile verschwunden. Dafür war ein Bekannter des Besitzers da, der uns mehr oder weniger stolz erzählte, dass die Puppe letztens in der Zeitung war. Ich gab mich als Urheber jenes Presseartikels nicht zu erkennen, äußerte aber meine Begeisterung ob der artifiziellen Gestaltung des Rohbaus.

Als wir die Flecken an den Neubauten in der Mittleren Kanalstraße fotografierten kam einer der Bewohner bzw. Besitzer eines der Reihenhäuser auf uns zu und stellte uns zur Rede, warum wir denn gerade diese Fassade fotografierten und es kam zu einem kurzen Austausch bzw. einer aufkeimenden Gentrifizierungsdiskussion. Es sieht so aus als gibt es in Gostenhof sowas wie eine Gentrifizierungsgegenbewegung. Die Mieten steigen, hin und wieder wird mal ein Gebäude saniert oder neu gebaut und reflexartig wird in dem Kiez gegen Bonzen, Yuppies und saubere Fassaden Stimmung gemacht, insbesondere wurden die Neubauten in der Mittleren Kanalstraße mit Farbbeuteln beschmissen. Der Schaden ist nicht unerheblich. Nun könnten diese grauen Fassaden in der Tat etwas Farbe gebrauchen aber es geht hier um was anderes. Hier wird echte Gentrifizierung wie in Berlin oder London mit Stadtentwicklung in Nürnberg verwechselt. Ich will nicht bestreiten, dass es auch in Nürnberg Gentrifizierung gibt, aber sie findet im Kleinen statt und ist auf Parzellen begrenzt. In der Stadt werden bei weitem keine Stadtteile umgekrempelt und yuppiisiert. Vielmehr werden Brachen wiederbelebt. Das Mieten steigen ist unbestritten, aber das liegt weniger am Zuzug von Bonzen oder an Luxussanierungen, sondern eher am Wohnungsmangel in der Stadt. Gentrifizierungskritik wirkt in Nürnberg aufgesetzt und ist vielleicht eher eine Modeerscheinung als berechtigte Kritik. Auf der anderen Seite verleiht sie Gostenhof diesen punkigen Anarchocharme der Nürnberg als Großstadt sonst komplett fehlen würde.

Auf die schönste Litfasssäule möchte ich auch noch kurz hinweisen. An dieser urbanen Tauschbörse startete der Fotowalk und dort habe ich inzwischen auch einige Dinge aus meinem Haushalt in die innerstädtischen Verteilungsprozesse eingebracht. Schöne Idee!

Gostenhof ist und bleibt mit Abstand der lebendigste und interessanteste Stadtteil Nürnbergs. Es wäre schön, wenn sich dies irgendwann auch auf z.B. Muggenhof oder andere angrenzende Stadtteile übertragen würde. Das AEG-Gelände ist zwar tendenziell belebt, aber drumherum herrscht immer noch Eintönigkeit.

Die Fotos (verdammt ähnliche und ganz andere) von Terence von der selben Tour befinden sich drüben in seinem Blog.

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