In der recht sterilen Dammstraße in Gostenhof beobachtete ich bereits im Juni vor zwei Jahren diese Dame am Fenster. Wenn ich abends nach dem Essen und zur Entspannung um die Häuser und durch die Stadtteile ziehe, bekomme ich öfter mal Gelegenheit, Menschen beim leben zu beobachten. Gardinen sind vielleicht mal nicht zugezogen oder Türen stehen offen. Schon kann man sehen, wie Leute in der Küche was schnibbeln, regungslos von einer Flimmerkiste bestrahlt werden oder sich unaufgeregt unterhalten.Alles furchtbar unspektakuläre Erlebnisse, aber das ist wohl die Bedeutung des Begriffs „wohnen“, nämlich in den eignen vier Wänden faul und langweilig nichts besonderes zu machen. Jedenfalls sah ich diese Dame am Fenster. Eigentlich war es gar kein Fenster, sondern ein Loch in einem entkernten Gebäudeteil, wo wohl mal ein Fenster hin soll.
Sie stand da, hatte ein schickes gelbes Abendkleid an und war offensichtlich eine Puppe. In einem Rohbau. Sie stand da und guckte mich an. Ich fotografierte sie. Knapp zwei Jahre später schlich ich wieder durch die Dammstraße, eher zufällig, aber ich erinnerte mich an die Szene mit der Puppe. Bemerkenswerter Weise war der Rohbau so gut wie unverändert. Auch die Puppe war noch da, hatte diesmal aber weniger an. Und sie stand vor einem Bild, fast wie in einer Galerie. Ob das Gelände wirklich Baustelle ist, bezweifle ich jetzt. Aber ich plädiere dafür, dass mehr Leute Puppen in ihre Fenster stellen, sie gut kleiden und so die Passanten unterhalten. Das wohnen wirkt dann nicht so unspektakulär, selbst eine Baustelle wird so fast zum Erlebnis.
Hintergrund
Wie bereits im Portrait vor Kurzem angekündigt, habe ich vom Verlag Nürnberger Presse den Auftrag einmal im Monat eine „ungewöhnliche Stadtansicht“ abzuliefern, eine Art Fotokolumne. Ihr Name ist „Ungeschminkt“ und erscheint im Stadtanzeiger, der Beilage der NN und NZ.
Soweit ich weiß wurde das Bild inklusive des Textes bislang auch nur im Print veröffentlicht und nicht auch parallel auf einer der Webseiten des Verlages. Mit einem Tag Verzögerung erscheint Bild und Text auch hier im Blog plus einer zusätzlichen weitwinkeligen Szene.