Wenn mich Freunde und Bekannte das erste Mal in Nürnberg besuchen, dann besteht das Programm bei mir natürlich immer auch aus einer Tour durch die Stadt, insbesondere wenn es sich um Besuch aus dem Ausland handelt. Solch eine Tour beginnt nicht mit der Altstadt, die kommt zum Schluss (wegen der Getränke), sondern immer mit der Nazi-Vergangenheit, sprich mit dem Reichsparteitagsgelände und dort besonders mit der Tribüne. Diese dunkle Geschichte Deutschlands und auch Nürnbergs ist etwas, was gerade meine ausländischen Bekannten ziemlich fasziniert.
So ist es z.B. bei meinen finnischen Freunden so, dass es zum guten Ton gehört irgendeinen Bildband über den zweiten Weltkrieg oder über Nazideutschland zu Hause im Regal zu haben. Die Leute scheinen fasziniert von dieser Zeit und der Ästhetik zu sein und ich glaube es ist kein Zufall, dass so eine Nazi-Parodie wie „Iron Sky“ gerade aus Finnland kommt. Jedenfalls war mein Freund Matti schon etwas verwundert und zugleich überrascht, dass so ein Bauwerk wie die Steintribüne überhaupt noch existiert aber auch in was für einem schlechten Zustand sie ist. Er findet jedenfalls schon, dass man so ein Bauwerk pflegen und erhalten sollte. Es ist ein Stück Geschichte und er würde es schade finden, wenn so etwas einfach so weg wäre. An der Stelle zu stehen wo einst ein grausamer Diktator seine Reden schwang, oder wo medienwirksam ein Hakenkreuz weggesprengt wurde; das sind Sachen, die er aus Filmen und den Bildbänden kennt, die er aber so noch nie in echt gesehen hatte und auch so nicht so oft zu sehen bekommt, wenn er nicht gerade nach Nürnberg kommt.
Und dann gibt es da noch ein besonderes Erlebnis mit meiner chinesischen Kollegin Ling, die bei ihrem ersten Besuch in Deutschland auch direkt nach Nürnberg gekommen ist und somit auch direkt auf der Steintribüne stand. Sie ließ es sich nicht nehmen auf die Kanzel zu gehen und dort nicht nur so zu reden, sondern auch so zu gestikulieren wie es einst ein gewisser Diktator dort getan hatte. Mit ihrem chinesischen Akzent und den nicht vorhandenen Deutschkenntnissen war das zwar nicht sehr authentisch, vielmehr lustig, aber ich musste intervenieren, um es nicht mit dem Verfassungsschutz zu tun zu bekommen. Ich Spielverderber versuchte ihr zu erklären, dass wir Deutschen sehr sensibel mit dieser Vergangenheit umgehen, und das sie etwas aufpassen sollte bei gewissen Gesten, gerade in der Öffentlichkeit. So frei wie es überall heißt, ist man in Deutschland dann nämlich doch nicht, philosophierte ich. Und in meiner Erklärungsnot sagte ich ihr dann, dass ich ja auch nicht nach China käme und dort so rede und rumhampele wie Mao Zedong. Ich wüsste zwar nicht, wie ich hampeln müsste um so auszusehen wie Mao, aber ich glaube sie wusste was ich meinte.