„Berlin ist nicht mehr die coolste Stadt der Welt“ – das behaupten die New York Times und der amerikanische Rolling Stone. Deutsche Medien reagieren und suchen nach Ursachen. „Der Berliner ist nicht nett zu seinen Touristen“ stellen sie fest. Aber auch: „Die kreative Nachwende-Umbruch-Zeit ist vorbei und musste einer Weekend-Billigbier-Party-Mentalität weichen“.
Also zementiert man nun den Eindruck, dass die Berliner Coolness aus der Stadt entweicht und von der Provinz aufgefangen wird. Praktisch zeitgleich mit der offenbar abgeschlossenen Gentrifizierung der Hauptstadt tauchen für Landstriche wie Nürnberg Texte auf, die beispielsweise fünf Gründe nennen, warum Nürnberg das bessere Berlin ist: „Hipsterhauptstadt mit Herz“ und blasen dabei tief ins Folklorehorn:
- GoHo: Klein, fein, quasi Kreuzberg
- Kreativer Leerstand
- Ehrlich nährt am längsten
- Ein Herz so groß wie ein Fußballstadion
- Die Alles-woschd-Mentalität
„Endlich!“, möchte man schreien, nachdem man abermals Gostenhof mit Kreuzberg verglichen hat. Nach all den Jahren des Hypes der Hauptstadt nivelliert sich das Attraktivitätsgefälle zugunsten der ewig Geschundenen. Jetzt möchte man auch was vom Coolnesscake abhaben und sucht an den Fingern saugend nach Gründen, die wie Tatsachen aussehend um Bestätigung ringen. Natürlich haben die Quelle und das AEG-Gelände die selben Energien freigesetzt, die auch Berlin nach der Wende haben neu entstehen lassen. Übersehen wird indes, dass die Kräfte, die gerade medienwirksam die coolste Stadt der Republik dekonstruieren, in Nürnberg genauso wirken, wenn nicht noch stärker. Zwar ist eine Berlinifizierung Nürnbergs nicht zu übersehen, aber in den nächsten Monaten wird aus finanziellen Gründen die Zentrifuge AEG verlassen. Auch ist die Zukunft des Künstlerkollektives in der Quelle ist nur durch die derzeitige Alternativlosigkeit in den Nutzungskonzepten gesichert, was mit der Weinerei passiert, wissen wir auch noch nicht so richtig, und die Gentrifizierung in GoHo hat es mittlerweile inklusive Fachterminus in die Lokalpresse gebracht.
Freigeistige Nutzungen werden in Nürnberg nicht unbedingt als solche verstanden und meist nur geduldet, solange sie keine sonderliche Bedrohung der bürgerlichen Werte nach Ruhe und Stabilität oder keine mögliche finanzielle Last darstellen. Ähnliches wird in Berlin zu Recht laut kritisiert. Ungehorsam hat in der Hauptstadt nun auch etwas Tradition, wohingegen der Nürnberger eher in seiner Rückwärtsgewandtheit steckt. Ob der Mut existiert, aufkeimenden Biotopen mit Strahlkraft wie in der Quelle eine längerfristige Daseinsberechtigung zuzugestehen, ist nämlich nicht sonderlich zu erkennen. Die phlegmatische „Alles-woschd-Mentalität“ in der Region hat ihre negative Seite, die durch den ein oder anderen Hipstercharme versprühenden Vollbart über einem V-Ausschnitt in der Fürther Straße nicht aufgewogen wird.