Es war 2008 als Sascha Lobo und Holm Friebe mit ihrem Buch „Wir nennen es Arbeit: Die digitale Bohème“ für Furore und Diskussion sorgten und auch den Weg ins Feuilleton schafften. Auf einmal schien es offenbar, was bisher nur so ein Gefühl war. Das Buch handelt davon, wie eine neue Klasse von Selbstständigen, die mit Hilfe digitaler Technologien dem alten Traum vom selbstbestimmten Arbeiten in selbstgewählten Kollektivstrukturen ein gutes Stück näher kommen. Auf einmal hatten die vielen frei und unabhängig arbeitenden einen Namen und es war möglich, sich zu identifizieren. Zudem traten die Autoren dem Ideal der Festanstellung gehörig gegen das Schienbein.
Für die Digitale Bohème ist es normal, an verschiedenen Projekten zu arbeiten, wovon nicht alle finanziell erfolgreich sein müssen. Es reicht aus, wenn die Projekte die eigene Credibility steigern, Grundsteine legen, oder einfach Spaß machen. Ein 40-Stunden-Job kann diesen Ehrgeiz an eigenen Projekten zu schrauben gehörig ausbremsen. Es ist somit nicht unbedingt eine notwendige Entscheidung, zur Digitalen Bohème zu gehören, weil es vielleicht nicht den richtigen Job für die eignen Fähigkeiten und Interessen gibt, sondern vielleicht auch vielmehr eine bewusste, weil die eigenen Interessen und Fähigkeiten einfach ausgelebt gehören. Ist man professionell und vernetzt genug, kommen Aufträge, und damit das Geld, meist eh von alleine.
Die Digitale Bohème in der Provinz
Das dieses Buch Berlin entsprungen ist, ist vermutlich kein Zufall. In einer Stadt in der Individualismus, Selbstbestimmtheit, der Drang nach Freiräumen und ein nicht gerade üppiger Arbeitsmarkt zur Grundausstattung gehören, war es vermutlich nur eine Frage der Zeit, bis sich die Kreativen und Innovativen entsprechend organisieren. In anderen großen Städten der Welt war es ja auch der Fall und es sprach viel dafür, dass sich dieser Trend auch in die Provinzen ausbreitet. Aber ist das auch passiert? Wie sieht es in Nürnberg aus?
Schlecht sieht es nicht aus. Es gibt sogar so etwas wie eine Digitale Bohème in Nürnberg bzw. Franken, es ist vielleicht sogar das erste Mal, dass es in diesem Landstrich überhaupt eine Bohème gibt. Nürnberg produziert mit seiner Ohm-Hochschule oder der Akademie der Bildenden Künste Nürnberg mittlerweile haufenweise kreatives und medienaffines Personal, welches es nicht unbedingt in die klassischen 9to5-Berufe zieht. Nicht nur Ohm- oder AdBK-Studenten trifft man gebündelt in Kollektiven rund um das ehemalige AEG-Gelände oder als (Zwischen-)Nutzer in Räumen des Quelle-Gebäudes. Es gibt mit den Coworking Spaces in Nürnberg und Fürth Räume mit passender Infrastruktur (WLAN und Club Mate!) zum unbeschwerten arbeiten und für verschiedenste Veranstaltungen von Kultur über Netzwerktreffen bis hin zu Skillsharing. Und es gibt ein sehr gut ausgestattetes FabLab in der Stadt.
Sie traut sich nicht so richtig raus aus ihrer Nische
Aber es gibt deutlich Luft nach oben. Trotz der genannten Orte und die dort keimenden Kollektive versteckt sich die lokale Boheme und tritt in der öffentlichen Wahrnehmung nicht in Erscheinung. Nicht unbedingt überraschend, wenn man die eher introvertiere Fränkische Seele kennt. Wenn aber z.B. von Start-Ups oder einer prosperierenden IT-Szene in Deutschland die Rede ist, denkt jeder sofort an Berlin. Nürnberg muss muss sich indes mit all seinen kleinen geilen Netzfirmen nicht verstecken, tut es aber.
Ich selbst kenne mittlerweile beide Welten, die der tariflich geregelten Festanstellung und das freie Arbeiten in einem der Coworking Spaces. Letzteres macht deutlich mehr Freude, schon weil es ein offeneres und innovativeres arbeiten ist. Die Community in so einem Coworking Space trägt und inspiriert sich. Und wenn ich gerade nichts tun mag, ziehe ich mich zurück. Diese Offenheit und Flexibilität liegt mir und kann nicht durch ein starres Korsett wie ein Arbeitsvertrag mit Zeiterfassung ersetzt werden, schon gar nicht, wenn ich einen ganzen Blumenstrauß an Aktivitäten und Interessen habe.
Dennoch bleibt der Eindruck, dass Coworking und die Digitale Bohème eine ziemliche Nische in Nürnberg und Franken ist und ich glaube, dass ist eine Mentalitätssache. Ich habe Nürnberg und Franken nie als sonderlich lockere und innovative Stadt kennen gelernt, vielmehr als klassische konservative Arbeiterstadt. Sich in Kollektiven einzubringen, sich gemeinschaftlich fachlich auszutauschen, sich zu engagieren oder mal was ungewöhnliches auszuprobieren, so was liegt wohl nur einer Minderheit hier in der Stadt. Das ist sehr schade. Wer einmal die Lockerheit auf der einen Seite und den Schaffensdrang auf der anderen Seite in solchen Kollektiven erlebt hat, der mag nicht mehr groß anders arbeiten. Ich würde mich freuen, wenn diese kollektive, projektgetriebene Arbeitswelt aus ihrer Nische heraustreten würde. Was es dazu braucht, ist nur Offenheit und Engagement, die Räume dafür gibt es bereits!
Nürnberg Web Week 2013
Übrigens, im Herbst wird es die zweite Nürnberger Web Week geben (Facebook Event, Xing Event, Google+ Event). Größer, besser und mehr als noch in 2012. Ein gutes Zeichen und ein guter Tummelplatz für die Digitale Bohème in der Region. „Die Wirtschaft“ hat die Web Week mittlerweile auch auf dem Radar. Auf der Pressekonferenz sprachen Dr. Michael Fraas (Wirtschaftsreferent der Stadt Nürnberg) und Dirk von Vopelius (IHK-Präsident) über ihre Erwartungen an die Web Week. Zumindest die IHK sieht Nürnberg und die Metropolregion dabei schon länger klar als Heimat für Kreative. Jetzt darf man natürlich skeptisch sein, denn gerade eine „Heimat für Kreative“ ist etwas, dass von innen heraus wächst und auch gewisse Rahmenbedingen und Freiräume braucht, z.B. die oben schon genannte Offenheit. Kreative lassen sich selten groß durch tendenziell biederes Stadtmarketing beeindrucken, jedenfalls nicht die, die ich kenne.
Aber, das Ziel der Web Week, das der „Wirtschaft“ und das des Stadtmarketings deckt sich mit meinem Anliegen: Nürnberg darf gerne cooler, offener, bunter, hipper, internetziger werden!
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Oder um es mit Funny Van Dannen zu sagen: