Chisinau, Moldawien Impressionen

Reisen ist für mich immer dann besonders spannend und interessant, wenn es mich an Orte führt, von denen ich keine Meinung, keine Vorstellung und keine Bilder im Kopf habe. Natürlich kann man auch in Paris oder London tolle Orte entdecken, aber dadurch, dass diese Reiseziele medial so präsent und aufgeladen sind, gibt es eine hohe Erwartungssicherheit, eben weil die Konstrukte Paris oder London bekannt und vertraut erscheinen.

Moldau bzw. Moldawien (sind zwei Synonyme für denselben Staat zwischen Rumänien und der Ukraine) ist das genaue Gegenteil von Erwartungssicherheit. Ahnungslos in ein Land zu reisen, für das es teilweise Reisewarnungen des Auswärtigen Amtes gibt (für Transnistrien), ist spannend und im Falle Moldawiens sehr, sehr lohnend. Unglaubliche Eindrücke, vor allem für Liebhaber von Brutalismus, Lost Places und Straßenfotografie, sehr freundliche und entspannte Menschen und eine der friedlichsten Ecken der Welt. Dazu sehr guter Wein, leckeres Essen und ziemlich schlechte Straßen. Und an fast jeder Ecke blickt man irgendwie in eine vertraute Vergangenheit, während irgendwo in der Ferne jemand leise „Wind of Change“ pfeift.

Die Tour dauerte acht intensive Tage und wurde, wenn man wollte, die meiste Zeit von einem tollen Guide geführt und organisiert. Wer bei Google Maps in Moldawien auf die allgegenwärtigen Fotos eines Users namens Nicolai Moldovan TourGuide mit über 60.000 Beiträgen stößt, weiß, wer sich in diesem Land auskennt wie kein Zweiter. So ein Guide ist auch wichtig, denn mit Englisch bekommt man in der Hauptstadt Chișinău gerade mal einen Cappuccino und ein Hotelzimmer. Nicolai hingegen spricht neben Englisch auch die Amtssprache Rumänisch und vor allem das für Transnistrien wichtige Russisch fließend und kennt alle Tipps und auch die skurrilen Orte. Das macht so eine Reise sehr angenehm einfach.

Rumstrolchen in Chisinau

Chișinău präsentierte sich warm, freundlich, lebendig und sehr aktiv. Unzählige Cafés, zahlreiche Blumenläden und eine SUV-Dichte, von der man in den USA wohl nur träumen kann, prägen das Straßenbild der Innenstadt. Der Verkehr staut sich auch ziemlich, aber das liegt oft daran, dass alle paar Tage Straßen für einen Marathon, ein Musik- oder Weinfestival gesperrt werden. Wie immer ist man zu Fuß am besten unterwegs und kann das Flair mit allen Sinnen genießen. Die Wege sind nicht weit und vieles lässt sich gemütlich erbummeln. Für die etwas abgelegeneren Orte hat man entweder den Guide mit seinem Auto oder man nutzt die Taxi-App Letz.

In Chișinău haben mich besonders die brutalistischen Bauten interessiert, die sich hier zu Hauf tummeln. Und die Widersprüche und Brüche, die sich auftun, wenn Oberklasse-SUVs vor ungepflegten Fassaden stehen. Außerdem habe ich meine Vorliebe für die Straßenfotografie wiederentdeckt. Die Schäu vor der Kamera habe ich nicht erlebt. Ganz im Gegenteil. Manchmal haben die Leute extra für die Kamera posiert.

Liste der Dinge, die auffallen

  • Es gibt viele freilaufende Hunde im ganzen Land. Die tun aber alle nix.
  • In der Innenstadt sind auffallend viele große und teure Neuwagen unterwegs. Viele westliche Marken, aber auch Autos aus den USA, China, Japan. Auch Marken, die man in Deutschland und Europa nicht kennt. Nach einem alten Lada oder ähnlichem muss man lange suchen.
  • Das Konzept der Straßenlaterne hat sich noch nicht so richtig durchgesetzt. Gerade in den Nebenstraßen ist es nachts einfach dunkel.
  • Jeder hat ein Handy und es wird exzessiv genutzt. Mobilfunk ist zudem billig und gut ausgebaut, zumindest im Westen des Landes.
  • Der ÖPNV besteht aus Bussen und Taxis.
  • Die Preise liegen etwa bei einem Drittel oder wenig mehr unseres Niveaus. Also Käffchen oder Bierchen für etwas mehr als nen Euro. Bei den Hotels sieht das schon anders aus. Die sind preislich auf Augenhöhe.
  • Eine Sticker- und Graffitiszene scheint es zu geben, aber eher in bescheidenem Rahmen. Ich konnte einen HSV-Sticker und einen Antifa-Sticker finden, ansonsten ist die Sprache der Straße weitgehend unpolitisch.
  • Laut unserem Guide leben die Menschen in Moldau auch eher im Hier und Jetzt und genießen das Leben, anstatt sich Gedanken über die Zukunft zu machen. Schicke Autos, teure Handys und zahlreiche Festivals sind Ausdruck dieses Lebensgefühls.
  • Man kann überall mit Karte bezahlen. Bargeld ist nicht nötig. Das gilt indes nicht für Transnistrien!
  • Mit dem Zug dauert die Fahrt nach Kiew dreizehn Stunden.
  • An Fußgänger- und Fahrzeugampeln gibt es einen Countdown, der anzeigt, wie lange man noch warten muss.
  • Die Autofahrer halten sofort an, wenn man einen Zebrastreifen überqueren will, und scheinen irgendwie mehr Rücksicht auf die Passanten zu nehmen.
  • Man scheint Bock auf die EU zu haben, ohne Transnistrien. Ich drücke jedenfalls die Daumen für das Referendum und den Beitritt.

Reisetipps für Moldawien

Wer sich für das Land interessiert, findet hier auf Reddit eine gute Liste der spannendsten Orte, die – anders als meine Fotos vermuten lassen – auch touristisch und kulinarisch sehr interessant sind. Oder ihr macht es wie wir und bucht euch die Tour bei Martin Kaule.

Außerdem…

Für mich war es die erste Reise, die ich komplett mit dem Handy fotografiert habe. Deshalb sind auch fast alle Bilder im Hochformat. Die große Kamera war zwar dabei, ist aber nach einem Software-Update gleich am ersten Tag ausgefallen.

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