Relikte der Bergleute in Pyramiden

Die ehemalige sowjetische Bergbausiedlung Pyramiden auf Spitzbergen war kein Gulag, sondern ein Paradies. Die Bergleute verdienten hier teilweise das Dreifache ihres heimatlichen Lohns. Dazu kam das Prestige, im Westen zu leben. Kein Wunder, dass der KGB alles im Griff hatte. Die ehemalige Geheimdienstzentrale ist leicht zu finden: Im Gebäude der Bergwerksverwaltung gibt es Räume, die keine Bürotüren haben – sondern schwere Tresortüren. Der Besucher betritt quasi einen Panzerschrank. An der Wand steht ein verkohlter Ofen. Hier sollen im Fall der Fälle noch schnell Akten vernichtet werden.

Das gelbe Gebäude links ist die Bergwerksverwaltung, rechts ist eins der Wohngebäude für die Bergleute.

Doch wie lebten die sowjetischen Bergleute in der Arktis? Wie richteten sie sich ein? Was vermissten sie und womit identifizierten sie sich, wenn sie nicht gerade Kohle aus dem Berg kratzten? Antworten auf diese soziologisch interessanten Fragen gibt eines der Wohnhäuser in Pyramiden. Hier finden sich, wenig überraschend, viele Pin-ups, gepaart mit Resten von Hochprozentigem und Tabakwaren. Es fällt schwer, sich hier nicht den heruntergekommenen Klischee-Russen vorzustellen, der ein wenig unpünktlich und ungeduscht zur nächsten Schicht erscheint. Interessanterweise finden sich auch viele westliche Ikonen. Schwarzenegger als Terminator zum Beispiel oder der Prügelknabe Van Damme, die zu der Zeit als hier noch gearbeitet wurde sehr populär waren. Natürlich gibt es auch Bilder von Autos und anderen Statussymbolen wie westliche elektronische Geräte. Aber auch Verpackungen von aus arktischer Sicher exotischen Süßigkeiten dienten als Dekoration für die Wohnungen. Offenbar konnte man sich trotz der Abgeschiedenheit so einiges organisieren.

Das alles kann als Versuch interpretiert werden, eine Verbindung zur Außenwelt herzustellen und einen Hauch von Glamour und Modernität in die abgelegene arktische Umgebung zu bringen. Es spiegelt auch die Faszination und Neugierde wider, die viele Menschen in der Sowjetunion für westliche Kultur und Lebensstile hatten, besonders in einer Zeit, in der solche Einblicke eher selten waren.

Die Relikte und Dekorationen sind nicht nur einfache Gegenstände oder Schmuckstücke. Sie sind Fenster in eine andere Zeit, in eine Welt, die sowohl isoliert als auch tief mit globalen Strömungen und Sehnsüchten verbunden war. Sie erzählen Geschichten von Träumen, Wünschen und der unermüdlichen menschlichen Fähigkeit, Schönheit und Bedeutung auch in den unwirtlichsten Umgebungen zu finden.

Für Historiker, Anthropologen, Künstler und alle, die sich für die menschliche Erfahrung interessieren, bieten diese Artefakte reichhaltige Möglichkeiten zur Erforschung und Reflexion. Sie sind Zeugen der Kultur, der Bestrebungen und der menschlichen Natur selbst, bewahrt in der Kälte und Stille der Arktis.

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