Geesthacht, eine Kleinstadt in Schleswig-Holstein, südöstlich von Hamburg direkt an der Elbe gelegen, ist vor allem durch das längst stillgelegte Kernkraftwerk Krümmel bekannt. Aber auch für anderes. Geesthacht ist auch der Ort, an dem Alfred Nobel das Dynamit erfunden hat. Inzwischen ist es ruhiger geworden in Geesthacht. Als ich vor ein paar Wochen einen Ausflug gemacht habe, war es sogar sehr ruhig. Es war Sonntag und die Ruhe ist natürlich auch ein Teil der Stimmung, die ich einfangen wollte. Die Straßen waren menschenleer, es gab kaum etwas zu sehen. Die Stadt wirkte grau, trist und verlassen. Es schien, als hätte sich seit Jahren oder Jahrzehnten nichts verändert. Stillstand als Lebensgefühl. Geschäfte, Restaurants und Wohnhäuser entlang der Geesthachter Straße waren geschlossen, leer oder aus der Zeit gefallen. Perfekte Voraussetzungen also für einen fotografischen Ausflug in die Provinz.
So wie die Stadt ist auch die Provinz merkwürdig mit Projektionen aufgeladen. Adorno meinte einst, dass die Bildung zur Mündigkeit notwendigerweise mit Urbanität zusammenhängt. Denn die Beschränkung von Bildung durch Provinzialität schränke zugleich die Möglichkeit von Emanzipation ein. Es existiert also eine Verachtung des Provinziellen, beispielsweise eine arrogante Sicht auf die vermeintlich tölpelhafte und ungebildete Landbevölkerung. Diese verachtet die Städter direkt zurück, denn sie lebten auf Kosten der harten Arbeit auf dem Land. Zudem herrschten in den Städten Dekadenz und Sittenverfall. Gleichzeitig schwingt sich eine Verherrlichung des Provinziellen auf. Das angeblich echte und ehrliche Leben auf dem Land abseits von Stau, Dreck, Stress und Reizüberflutung wird romantisiert, so wie auch die Freiheit der Stadtluft, die Selbstverwirklichung, die Bohème, die Partys und coolen Kieze in der Stadt glorifiziert werden.
Die Wahrheit über das Leben in den jeweiligen Orten liegt vermutlich irgendwo dazwischen und orientiert sich auch an persönlichen Möglichkeiten und Bedürfnissen. Auch verwischen die Grenzen durch den Fluch und Segen der zeitgenössischen digitalen Kommunikation. Ich möchte nach den Jahren des Urbanismus nun immer mal wieder Blicke in die Provinz wagen. Vielleicht ist Provinzialismus der neue Urbanismus.