Die Antwort findet sich ab Seite 57 des „Gutachten zum Stadtentwicklungskonzept Wohnen im Jahr 2025 in Nürnberg“ (PDF, ca. 200 Seiten). Aufmerksame Flaneure haben es sicher schon geahnt: Nürnberg ist kein München, Hamburg, Leipzig oder Stuttgart. Insbesondere von den Ausprägungen der Milieus her nicht. Hier kommt nun die wissenschaftliche Bestätigung.
Nürnberg charakterisiert eine breite, starke Mittelschicht. Im Vergleich mit anderen deutschen Städten ist die gehobene Schicht leicht unterrepräsentiert und dagegen die niedrigen Ausstattungsniveaus überrepräsentiert. Insbesondere die „Heimzentrierten“ sind deutlich häufiger vertreten als in anderen vergleichbaren Städten (Nürnberg 22 %, Stuttgart 14 %). Typische großstädtische Milieus wie das „Liberal Gehobene“ (Nürnberg 9 %, Stuttgart 15 %) oder „Reflexive“ (Nürnberg 6 %, Stuttgart 10 %) sind dagegen zu deutlich geringeren Anteilen in Nürnberg vertreten. Veränderungen bei den Milieus werden sich zukünftig insbesondere durch die Zuwanderung aus dem In- und Ausland sowie durch die Alterung der jüngeren Generationen ergeben. Letzteres wird dazu führen, dass insbesondere moderne Milieutypen zunehmen werden.
Nun stammen die Daten für das Gutachten aus dem Jahr 2012. In den letzten Jahren dürften sich durch die genannte Zuwanderung (und Dinge wie die „Berlinifizierung„) die Strukturen etwas in Richtung der liberal gehobenen Klassen geschoben haben. Dieses Gutachten erklärt nun, warum es Nürnberg die längste Zeit an Lebendigkeit im Stadtbild fehlte und warum es noch immer keine öffentliche Plätze kann. Heimzentrierte (lustige und treffende Bezeichnung) brauchen einfach kein ausgeprägtes urbanes Flair um sich wohl zu fühlen. Ihnen reicht es, wenn die Stadt aus Möbelhäusern besteht.
Und wie sieht Nürnberg eigentlich aus und wem gehört es?
Der Nürnberger Wohnungsmarkt ist geprägt durch einen großen Anteil an Gebäuden aus der Nachkriegszeit. Im Vergleich zu anderen Metropolen gibt es in Nürnberg wenig kleine Wohnungen, was angesichts der hohen Nachfrage von kleinen, einkommensschwächeren Haushalten ein Problem darstellt. Die Eigentümerstruktur in Nürnberg ist heterogen. Zwar gibt es einige größere Bestandshalter, der überwiegende Teil des Wohnungsbestandes ist jedoch im Besitz von privaten Kleineigentümern, was hinsichtlich der Umsetzung von wohnungspolitischen Zielsetzungen eine Herausforderung darstellt.
Kurz gesagt: Halb Nürnberg wurde in den dreißig Jahren nach dem Krieg gebaut und von den Milieus aus der vorhergehenden Auswertung gestaltet. So sieht es hier aus :)
Das Gutachten beinhaltet unter anderem Auswertungen zu Wohnungsangebot und -nachfrage, Wohnungsmarktprognosen, Bevölkerungsentwicklung, Mieten- und Kaufpreise und einiges mehr. Es ist medial bislang etwas untergegangen. Das ist verwunderlich, wird doch sonst jede halbgare Studie rund um Städterankings und emotional aufgeladene Wohlfühlfaktoren in die Stuben der Bürger getragen. Dieses Gutachten bislang nicht. Es wurde von der Stadt Nürnberg in Auftrag gegeben um dem aktuellen Wohnungsmarktgeschehen und den „zukünftigen Herausforderungen“ offensiv begegnen zu können. Der Wohnungsmarkt in Nürnberg „ist angespannt“, wie wir alle wissen. Ziel ist die Beschreibung und Bewertung der aktuellen und zukünftigen Wohnungsmarktsituation in Nürnberg und damit haben wir vermutlich eine seriöse Bestandsaufnahme.
Die Lektüre lohnt sich. Besonders für alle, die Eigentum haben, haben wollen oder sich in Nürnberg einnisten wollen oder schon haben.
Was mir auch noch aufgefallen ist:
- das Wort „Gentrifizierung“ kommt nicht einmal in dem ganzen Werk vor. Nichts anderes bedeuten aber Passagen wie „durch Maßnahmen der Stadterneuerung in den 1980er und 1990er wurden Teile des Stadtteils aufgewertet. Im Zuge der Ansiedlung der Kultur- und Kreativwirtschaft setzte ein Imagewandel ein, infolgedessen sich ein urbanes Milieu etabliert hat.“ – Hier geht es um Gostenhof.
- Die Anzahl der Einpersonenhaushalte liegt jetzt auch in Nürnberg bei über 50%. Das ist ein gesellschaftlicher Trend, der nun auch in Franken voll durchschlägt. Große Wohnungen zu finden dürfte somit noch schwieriger werden als es eh schon war. Von zukünftigen Generationen und neuen Lebenskonzepten ist zwar an manchen Stellen die Rede, konkret wird es aber nie. Auf anderswo zum Teil etablierte Konzepte wie Coworking, Coliving oder Mehrgenerationenhäuser wird nicht näher eingegangen.
- Nürnberg hat eine sehr geringe Leerstandsquote. Sie lag 2012 bei unter 2 %, was gefährlich wenig ist, behindert es doch Wohnungswechsel und Modernisierungen. Die Quote spiegelt sich auch im Leerstandsmelder nieder, der nach wie vor eine Anzahl an Objekten im kleineren zweistelligen Bereich abbildet.