Es gibt da einen sehr bekannten Ort der Zeitgeschichte, an dem ein großer Unfall passierte. Ein fast schon mystischer Ort der sich mit Legenden auflädt. Es verirren sich nur wenige Menschen dort hin, trotz der „noch heute messbaren Strahlung“ (sic!). – Moment mal, „noch heute messbaren Strahlung“? So heißt es bei Tschernobyl Tour, dem Reiseveranstalter für das besondere Erlebnis.
Nur zur Info: der havarierte Reaktorblock ist nach wie vor durch einen provisorischen, durchlässigen sogenannten „Sarkophag“ gedeckelt. Im Inneren ist weitgehend die Situation nach der Explosion in heißer Form konserviert. Es hat sich praktisch nichts seit 1986 geändert, außer, dass mittlerweile an einer neuen und größeren Schutzhülle bebaut wird. Ein großes Millionenprojekt. Die Kosten dafür tragen wir alle, denn auch Deutschland stellt Geld für die neue Schutzhülle zur Verfügung. Man sollte sich insgesamt nochmal in Erinnerung rufen, dass in Tschernobly eine unkontrollierte Kernschmelze stattgefunden hat. Das ist nichts wo man etwas Sand drüber buddelt und Spielen-Verboten-Schilder aufstellt und das ist auch nichts, was innerhalb von 30 Jahren irgendwie an Gefahr oder kritischem Potential verliert.
Ok, zugegeben, der Reaktor ist trotzdem ein reizvoller Ort. Und sicherlich einer, der auf der Liste der Lost-Places-addicted-people recht weit oben steht. Er symbolisiert die Postapokalypse in Reinform. Auch mich juckt es manchmal in den Fingern nicht einfach doch mal ein Ticket zu buchen und Krankheiten wie Krebs einfach mal zu ignorieren. Das Video zeigt sehr schön die Faszination, die von Tschernobyl ausgeht. Allerdings ist die echte Gefahr schlussendlich nicht klar kommuniziert. Manchmal heißt es, es leben seit dem Unfall immer noch Menschen dort. Auch hört man davon, dass der Geigerzähler nicht mehr so dolle ausschlägt, wie noch vor zwanzig Jahren. Bin da skeptisch. Zwar haben die damals freigesetzten Isopope unterschiedliche und teilweise auch sehr kurze Halbwertszeiten, dennoch hat da ne Kernschmelze statt gefunden. Und insgesamt spielen sich Halbwertszeit von spaltbarem Material in Zeiträumen ab, die wir Menschen nicht erfassen oder beherrschen können.
Filmtipp zum Thema Atommüll
Into Eternity (2009) hat zwar nichts mit Tschernobyl zu tun, dafür aber mit der Absurdität und der Unbeherrschbarkeit von Atomkraft und deren Hinterlassenschaften. Ein ruhiger und eindrucksvoller Dokumentarfilm über Onkalo, dem weltweit ersten tief im Granit liegenden Endlager für radioaktive Abfälle im Norden von Finnland. Da Onkalo nach seiner Fertigstellung im nächsten oder übernächsten Jahrhundert und Befüllung versiegelt und für 100.000 (!) Jahre sich selbst überlassen wird, konzentriert sich der Film auf die Frage, wie verhindert werden soll, dass spätere Generationen (denen das Wissen über die Gefährlichkeit von radioaktiven Abfällen möglicherweise fehlen wird) versehentlich oder absichtlich am Ort des Endlagers bohren oder sonstwie Zugang bekommen.
Wie kommuniziert man über Zeiträume von 1.000, 5.000 oder noch mehr Jahren? Leute aus unseren Tagen haben sich auch Zugang zu den Pyramiden und Heiligtümern vergangener Zivilisationen verschafft, obwohl es verboten und auch gefährlich war. Eine interessante Analogie. Bisher hatte die Menschheit es mit Zeiträumen zu tun, die vergleichsweise überschaubar waren. Trotzdem ist jegliches Wissen über die Gefahren, den Sinn und Zweck der Bauwerke und die Entzifferung der Schriften verloren gegangen. Mit der Potenzierung der Zeiträume, wird das alles nicht einfacher.