Es ist eigentlich eine Schnapsidee im Winter nach Shanghai zu reisen. Die Stadt erwartet einen zwar nicht mit Schnee und Glatteis, dennoch sind Mantel und Mütze ständige Begleiter bei den Touren durch die Stadt. Es gibt mildere Tage mit dezenter bzw. gedimmter Sonne, aber auch Tage mit einem unbarmherzigen eisigen Wind. Unterm Strich herrscht ein Grau in Grau, außer wenn abends und nachts die Lichter der Stadt funkeln und wie wild zucken.
Es dauert auch etwas bis sich ein verklärter Blick auf die Großstadt einstellt, denn die Stadt bietet nicht unbedingt das, was man von einer Millionenstadt erwartet. Eigentlich bietet sie sogar verdammt wenig wenn man bedenkt, dass die 20 Millionen Menschen doch irgendwas tun müssen um nicht zu versauern. Das offensichtliche ist das Verdienen von Geld und das unverzügliche Ausgeben des selbigen. Keinen Anderen Sinn scheint Shanghai zu haben, doch das Gefühl bleibt, dass da doch mehr sein muss.
Shanghai ist die Stadt gewordene Shoppingmeile eines X-beliebigen Flughafens. So schick, teuer, gestyled und ästhetisch wie auswechselbar, oberflächlich und künstlich. Bei dem schnellen Wachstum blieb wohl die Substanz auf der Strecke. Die Stadt ist westlich orientiert und als Westler mit etwas Taschengeld hat man auch alle Privilegien. Tolle Bars und Restaurants mit viel Service und gutem Essen, manchmal auch mit gutem Wein. Touristische Sehenswürdigkeiten gibt es, aber man hat sie in zwei, drei Tagen alle abgeklappert. Man steht staunend vor Chinesischer Landschaftsarchitektur, Tempeln, Museen und einladenden europäisch anmutenden Stadtviertel, voll mit den buntesten Bars, Restaurants und Shops. Alles toll und super und sehr einfach, jedoch besser nicht groß nachdenken oder hinterfragen, denn Inspiration gibt die Stadt nur in homöopathischen Dosen her. Es gibt sie, diese kleinen und kreativen Künstlerareale aber sie gehen unter zwischen Massen an Gesichtslosen Hochhäusern die nur zum Schlafen und Arbeiten gebaut sind. Die Stadt ist eine Arbeiter- und Businessstadt, jeder kommt und versucht sein Glück aber die Kulturrevolution hat offensichtlich zu einer Gleichschaltung geführt die sich in Großstädten wie Shanghai, die in der ersten Liga der Weltstädte spielen wollen, negativ bemerkbar macht. Reife Städte erneuern sich ständig von innen heraus und tragen diese Kraft auch nach außen. In Shanghai fehlt das. Mag daran liegen, dass Individualismus nicht unbedingt fest zur Chinesischen Kultur gehört. Kann aber auch sein, dass die Jahre der staatlichen medialen Kontrolle ihre Spuren hinterlassen haben. Die Leute kommen einfach nicht auf die Idee bestehendes zu hinterfragen oder in einem anderen Licht erscheinen zu lassen. Aber das sind nur Mutmaßungen, denn Areale wie das M50 zeigen ja, dass es eine Szene gibt, wenn auch nur eine kleine. Auch gab es eine Ausstellung mit bekannten Graffiti-Künstlern, allerdings in einem 5-Sternekomplex in Bestlage am Bund und nicht standesgemäß in einem abgefuckten Industrieareal. Folglich wird die Kreativität und der Rock&Roll nach Shanghai eingekauft und nicht von innen heraus selbst produziert.
Aber wie fühlt sich Shanghai nun an? Ein erster und bleibender Eindruck hämmert sich direkt beim Anflug ins Hirn. Da wo eigentlich die Stadt liegen sollte, liegt ein Meer aus Dunst und Wolken aus dem vereinzelt Hochhäuser raus stechen. Was man eingangs dann noch als romantische Nebeldecke abtut entpuppt sich als ständige Dunstglocke um die Stadt. Je nach Wetterlage lässt diese Dunstglocke blaugrauen Himmel zu oder trübt die Sicht nach wenigen hundert Metern schon deutlich. Was man da alles einatmet will man gar nicht so genau wissen. Da im Zentrum rund um die Uhr gebaut wird ist auch eine Menge Baustaub mit dabei der sich spür- und sichtbar auf die Kleidung, Autos und Fassaden legt. Leute laufen mit Atemschutzmasken rum, aber nicht übermäßig viele. Raucher haben es in Shanghai durch ihr Training sicherlich einfacher, alle anderen müssen halt die Ablagerungen im Hals öfter mal abhusten. Ein Ritual was schamlos und unentwegt auf den Strassen zelebriert wird. Es fegen und putzen pausenlos Leute und überhaupt durchzieht eine beeindruckende Geschäftigkeit die Strassen. Jeder scheint was zu tun zu haben oder was erledigen zu müssen. In jeder Ecke wuselt irgendwer oder man will irgendwo hin. Erst später fallen einem die Leute auf, die zwar offensichtlich einem Beruf nachgehen, aber effizient nur darauf warten, dass der Tag rum ist. Wie die unzähligen Bewacher von Eingangstüren z.B. oder die Leute die einem in riesigen Gebäuden einfach nur den Weg weisen oder auf der Toilette das Handtuch reichen.
Und riesige Gebäude gibt es in Shanghai wahrlich genug. Auf den ersten Blick merkt man das kaum, erst wenn man die ersten dieser Monster besteigt bekommt man eine Ahnung der Masse und des Umfangs der Bebauung. Egal in welche Richtung man schaut, bis zum Horizont (bzw. Dunstsichtgrenze) Betonburgen. 30, 40 oder 50 Stockwerke, manchmal mehr. Gerne in Gruppen von etlichen identischen Wohnklötzen, schnell und effizient hingezimmert und dazwischen immer noch Platz für die nächsten Hochhäuser die natürlich auch schon wieder im Bau sind. Aber so richtig unbegreiflich wird die Bebauung erst, wenn man im Stadtplanungsmuseum ein Tennisplatzgrosses und detailverliebtes Modell der Innenstadt (innerer der drei Autobahnringe) sieht, und man genau die Lage und Gestaltung der Hauser und Strassen begutachten kann. Ganze Stadtteile mit hunderten von Wolkenkratzern (wie z.B. die berühmte Skyline in Pudong) waren vor 20 Jahren noch Sumpfland. Es wird wie wild gebaut. Geld spielt keine Rolle. Shanghai soll das nächste Hongkong werden. Das ist beschlossene Sache und es gilt keine Zeit zu verlieren.
Dazu kommt der Verkehr. Normal kann man sich in der Innenstadt relativ luftig bewegen. Zu den Rushhours spürt man dann, dass man in einer Millionenstadt ist. In der riesigen U-Bahnstation am Peoples Square quetschen sich die Menschen und werden von hunderte Meter langen U-Bahnen im Takt von wenigen Minuten braunkohleartig weggebaggert. Das passiert für die Beteiligten sehr konzentriert und routiniert. Drängeln wird erwartet.
Auf der Straße sieht es nicht anders aus. Verkehrsregeln gibt es möglicherweise, es gibt ja auch Ampeln und Verkehrspolizisten, nur es hält sich keiner dran. Ampeln gelten nur an den richtig großen Straßen, ansonsten wuselt sich jeder, ob Fußgänger, Elektromofas (es gibt praktisch keine Mofas mit Verbrennungsmotor) oder Auto, gleichzeitig über eine Kreuzung. Und das klappt berührungslos und effizienter als wenn die eine Hälfte auf ein ominöses grünes Licht warten müsste. Die flinken E-Mofas schlängeln sich um die Passanten, welche ihrerseits etwas die Taxis in Schach halten die gerne mal etwas zu nahe kommen, aber eigentlich auch nur spielen wollen. Macht man als Fußgängergruppe beim überqueren der Strasse aber den Fehler und lässt eine Lücke, dann schafft es manch ein Auto und schlüpft durch. Aber halb so wild, so lange sie einen nicht beim gehen behindern. Nur eine Rasse hat auf der Strasse keine natürlichen Feinde: der Linienbus. Größe schafft Respekt. Vor ihm haben und sollten alle anderen kuschen wenn sie leben wollen.
China ist Entwicklungsland. Shanghai versucht das zwar zu überspielen mit den vielen Shoppingcentern und Boutiquen, mit den Luxusmarken und teuren Autos auf den Strassen, die selbst in den Vororten noch das Straßenbild prägen. Und mit den Hinweistafeln in den citynahen Vierteln, dass die Leute doch bitte aufhören ihre Wäsche draußen zu trocknen. Doch das dürfte ähnlich wirkungsvoll sein wie das Hupverbot, an dass sich auch niemand zu halten scheint. Wenn die Expo kommt, wird sich die Stadt nicht in einen Tempel verwandeln. Vielleicht wird sich der Dunst etwas verziehen wenn zur Expo der Verkehr eingeschränkt wird wie in Beijing in der Zeit der Olympischen Spiele. An Beijing wird man auch verwiesen, wenn man nach Kunst, Kultur und dem echten China fragt. Man macht sich gar nicht erst die Mühe Shanghai zu glorifizieren, sondern verweist auf die Stadt die wirklich Substanz zu haben scheint.
Unterm Strich kann man die Zeit in Shanghai angenehm verbringen, wenn man hedonistische Genüsse zu schätzen weiß und nicht groß nachdenken mag.
Zensur
Natürlich ist das Internet zensiert, daran wird auch Google nichts ändern. Twitter, Facebook und Youtube funktionieren nicht. Man bekommt aber kein Stoppschild, sondern einen DNS-Error (die Seite kann einfach nicht aufgerufen werden). Wikipedia funktioniert zwar, auch kann man Artikel über Chinesische Zensur aufrufen, aber nur einmal. Beim wiederholten klick auf einen entsprechenden Link existiert die Seite nicht mehr. Sie wurde aktiv weggefiltert. Auf einmal spürt man den Atem des Großen Bruders im Nacken und man fragt sich, ob nun schon die Staatspolizei unten vorm Hotel auf einen wartet. Als kleine Entschädigung kann man sich dafür offiziell unter www.google.cn/music praktisch alles an Musik kostenlos runterladen ohne an Urheberrechte denken zu müssen. Ein Service der überrascht, weil Google hierzulande mit dem Verweis auf Urheberrechtsverletzungen nicht mal eine spezielle Musiksuche anbietet, geschweige denn einen Downloadservice.
Paradoxerweise kann man sich die Freiheit kaufen. VPN-Dienste bieten für wenige Dollar im Monat Zugang zu westlichen Proxys und damit die Umgehung der Chinesischen Kontrollen. Das wird offensichtlich geduldet, vermutlich weil es einfach Devisen ins Land spült und solch ein Service vornehmlich von Expats in Anspruch genommen wird.
Links
http://www.smartshanghai.com (Webzine)
http://www.lonelyplanet.com/china/shanghai (Shanghai Travelguide)
http://travel.ninemsn.com.au/shanghai/ („Shanghai: Boring but important“)