Co-Living – Zusammenleben in der Wohngemeinschaft

Dirk lebte 4 Jahre in einer Co-Living Gemeinschaft in Nürnberg. Er erzählt Dir von seinem Weg und dem Zusammenleben in der Wohngemeinschaft. Drei Jahre haben die 6 Gründer:innen gesucht, bis sie eine geeignete Wohnung gefunden haben.

Co-Living – Zusammenleben in der Wohngemeinschaft | Credits: Dirk Murschall

Interview mit Dirk

Kannst Du Dich kurz vorstellen?

Hallo! Mein Name ist Dirk, arbeite seit 10 Jahren als freiberuflicher Projektmanager für Web- und IT- Projekte. Im Jahr 2014 habe ich mit 5 weiteren Freundinnen und Freunden in Nürnberg (Bayern) eine Erwachsenen-WG, oder vielmehr eine Co-Living-Community gegründet. Der Weg dahin war lang und nicht immer einfach.

Was war die Motivation in Gemeinschaft zu leben?

Die Gründungsmitglieder, drei Männer und drei Frauen, der Gemeinschaft kannten sich zu dem Zeitpunkt schon sehr lange. Teilweise über 10 Jahre. Dieses Kennen ging über eine normale Freundschaft hinaus. Denn uns einte auch ein gemeinsamer Verein, in dem wir alle Mitglieder waren und der uns ziemlich oft und so gut wie jedes Wochenende zusammenführte und beschäftigte. Es war kein Sportverein, sondern eher ein Kulturverein mit unterschiedlichen Aktivitäten rund um Musik, Kunst, Film, Literatur in allen Formen und Farben. Und viel Wein :)

Es existierte also schon eine Gemeinschaft, die allerdings auf verschiedene Wohnungen über die Stadt verteilt war. Irgendwann, bei einer Flasche Wein, reifte der Gedanke die einzelnen Single- und Pärchenwohnungen zugunsten einer gemeinschaftlichen Behausung aufzugeben. Einerseits hatten wir Lust auf das Zusammenleben, andererseits haben wir uns auch überlegt, dass wir mit unserer gebündelten Finanzkraft mehr leisten konnten als jeder für sich. Wohnraum wird billiger, je größer er wird. Jedenfalls wenn man sich den Quadratmeterpreis anschaut. Und so ergaben sich Möglichkeiten, wie ein Pool oder Sauna, ein großer Garten, riesige Räume und ähnliche Vorzüge.

Außerdem war uns klar, dass wir keine Wohngemeinschaft wollten, nicht im eigentlichen Sinn. Also nicht á la sieben Studenten auf 85 qm im Hinterhaus. Eher in der Form eines Mehrgenerationenhauses. Eine langfristig angelegte Art des Wohnens und des freiwilligen Zusammenlebens mehrerer unabhängiger Personen in einer sehr großen Wohnung oder eben einem Haus.

Wie lange suchst Du bereits und wie ist die Idee entstanden?

Die Idee entstand bei einem Wein an einem Abend und reifte dann über einen längeren Zeitraum. Neben vielen Treffen, Gesprächen und Ideen für unser zukünftiges Zuhause, scheiterte es in der Zeit meistens an unpassendem oder zu kleinem Wohnraum. Wir wollten wenigstens einigermaßen zentrumsnah wohnen und die sechs Mitbewohner, die bisher in eigenen Wohnungen lebten, auch passend unterbringen und nicht einsperren. Mit diesen Wünschen stießen wir in Nürnberg sehr schnell an Grenzen.

Neubauwohnungen mit einer für uns interessanten Wohnfläche von mindestens 300 Quadratmetern werden so geplant, dass maximal eine kleine Familie oder vielleicht nur DINKs („Double Income no Kids“) drin wohnen können. Wir suchten Wohnraum für sechs Personen. Also braucht es neben einer entsprechenden Anzahl an Zimmern auch einen kleinen Haufen an Sanitärräumen. Eigenständiges Zusammenleben benötigt ausreichend Rückzugsorte genauso wie große Gemeinschaftsflächen und etliche Klos um Staus zur Rushhour zu vermeiden. Neubauten kamen selten bis gar nicht in Frage. Der Wohnungsmarkt denkt nicht an größer angelegte Wohnprojekte, was man auch an den Altbauten merkt. Wenn wirklich mal eine riesige Altbauwohnung frei geworden war, dann auch nur, weil sich eine Wohngemeinschaft aufgelöst hatte. Diese Wohnungen kamen dann aber nicht wieder auf den Markt, sondern wurden in kleinere Wohnungen aufgeteilt und einzeln vermietet, so die Wahrnehmung.

Aber es gab sie trotzdem alle paar Monate mal, die architektonisch passenden Wohnungen. Allerdings blieb die Hürde der Anmietung. Kaufen wollten und konnten wir Wohnraum für unser Projekt (vorerst) nicht. Selbst wenn die Hälfte der Bewohner in der Lage gewesen wäre, eine Wohnung finanziell zu stemmen, waren Makler und Vermieter regelmäßig sehr skeptisch unserer Idee gegenüber. Man hätte lieber was, womit man sich identifizieren konnte, also ein solventes Akademikerpärchen oder ähnliches. Sowas erscheint Hauseigentümern solider als sechs separate und unabhängige Einkommen von einer Gruppe, die für sie nach freier Liebe und Sonnentänzen im Garten gerochen hat.

Schlussendlich hat es dann nach fast drei Jahren Suche doch geklappt. In einem unaufgeregten und bürgerlichen Vorort der Stadt stand schon seit einigen Jahren ein riesiges Haus aus den frühen 70ern leer und wartete auf Wiederbelebung. Keine wirkliche Schönheit und vielleicht auch deshalb hatte es sich all die Zeit vor uns versteckt. Über 400 qm, viele Zimmer, riesige Gemeinschaftsflächen, vier Badezimmer, weitere separate Toiletten, Garten und einige weitere sehr nette Extras. Man hatte nie versucht, speziell nach Wohngemeinschaften zu suchen, erfuhren wir später. Die Idee wurde durch den Makler erst spät dem Eigentümer nahegebracht, der sich dann überzeugen ließ. Die einzigen Interessenten waren wir wahrlich nicht, aber die, die den Zuschlag bekommen haben. Unser Auftreten war am seriösesten.

Was für eine Gemeinschaft war es genau?

Wir haben für die Gemeinschaft nie einen größeren Zweck oder eine Mission definiert. Alles was wir wussten war, dass wir uns gut verstanden haben und Lust auf das Experiment der Gemeinschaft hatten. Einige konnten es kaum erwarten loszulegen, andere waren vorsichtiger. Manche zogen als Pärchen in das Haus, andere als Single, wieder andere ließen den Partner extern wohnen. Ein gemeinsames Ideal war, dass man etliche Dinge teilen kann, die man sonst separat anschaffen müsste. Das reichte von so offensichtlichen Dingen wie Autos über Möbel bis hin zu Wasch- oder Küchenutensilien. Wir wussten aber auch, dass Rückzug und Privatsphäre wichtig waren. So hatte jedes Mitglied mindestens ein privates Zimmer, eine private Dusche und Toilette. Es war möglich, ganz gut nebeneinanderher zu leben und sich auch mal ein paar Tage nicht blicken zu lassen. Alle Bewohner:innen waren voll berufstätig, teilweise auch viel unterwegs und nur am Wochenende da. Oder am Wochenende weg, weil es eine Fernbeziehung gab. Die Gemeinschaft war dann die Familie, zu der man nach Hause kommen konnte und das Haus war nie ungenutzt oder leer.

Um die Gemeinschaft zu organisieren hatten wir einige Strukturen aus unserem Vereinsleben übernommen. So hatten wir beispielsweise ein gemeinsames Konto für die Kosten und auch um Rücklagen zu bilden für Anschaffungen oder Reparaturen. Es gab einen Kassenwart bzw. Buchhalter und einmal im Monat haben wir uns bei guten Essen getroffen, und die Stimmung, Termine, Projekte, Planungen, Anschaffungen und dergleichen besprochen. Es lief alles sehr organisiert und strukturiert. Fast schon wie eine kleine Firma. Auch das war uns wichtig. Wir wussten aus studentischen WG-Erfahrungen, dass Gemeinschaft schnell scheitern kann, wenn es Ungleichgewichte bei Aufgaben oder Belastungen oder größeren Missverständnissen geben kann.

Was möchtest Du anderen mit auf den Weg geben?

Zwei wichtige Erfahrungen aus der Zeit waren zum einen: jemanden zu beauftragen, der die Bude sauber hält. Sprich eine Putzkraft die regelmäßig kommt. Putzen will nie jemand und schon gar nicht für andere. Wir wussten das von Anfang an und das war uns auch wichtig. Es ist allerdings nicht einfach gutes Personal für größere Immobilien zu finden.

Uns haben in der Zeit viele um die Wohnung und die Community beneidet, allerdings war es gleichzeitig sehr schwer passende Nachmieter zu finden, wenn doch mal jemand ausgezogen ist. Das kam vor, aus unterschiedlichen Gründen. Eine bestehende Gemeinschaft aus Leuten, die sich ewig kennen mit unbekannten Menschen nachzubesetzen ist nicht einfach und kann das Gleichgewicht ziemlich stören. Wir haben diese Erfahrung nicht nur einmal gemacht und dafür keine gute Lösung finden können. Weder im Auswahlprozess noch im späteren Zusammenleben. Manch eine Person ist erstaunlich einfach und kompatibel, eine andere trägt Eigenarten mit sich, die schwierig sind für eine Gemeinschaft. Uns ist beides begegnet.

Was wünscht Du Dir für die Zukunft?

Ich würde für mich selbst wünschen, wieder in einer Gemeinschaft zu leben. Ich war einer von denen, die aus beruflichen und aus privaten Gründen die Gemeinschaft und die Stadt verlassen hat. Allerdings würde ich nicht die erstbeste Community wählen. Gleichgesinnte müssten sich finden und sich über einen längeren Zeitraum schlicht anfreunden. Insgesamt wünsche ich mir, dass mehr Menschen auf die Idee kommen in einer Community zu leben. Menschheitsgeschichtlich gesehen ist es die Ausnahme, in sehr kleinen Gruppen oder allein zu wohnen. Co-Living ist quasi der Gegentrend zur Digitalisierung, die die Leute zwar ideell vernetzt, aber physisch entkoppelt zurücklässt. In der Arbeitswelt etablierten sich Coworkingspaces genau aus dem Grund. Natürlich kann man die Idee auch von der Arbeit auf den Rest des Lebens erweitern.


Info: Dieses Interview ist für die Plattform bring-together.de entstanden.

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