Im Zusammenhang mit der Insolvenz der Arcandor AG wurde das Versandunternehmen Quelle aufgelöst und in Teilen verkauft (Wikipedia). 2009 verlor somit auch das Versandzentrum in Nürnberg seine Bedeutung und wurde nach dem Flughafen Tempelhof in Berlin zur zweitgrößten Brache Deutschlands. Über dem Bau schwebte das große und schwere Fragezeichen der Nachnutzung. Ab 2012 kam wieder etwas Leben in die riesigen Hallen, vor allem jedoch in den eher normal dimensionierten Bürotrakt auf der westlichen Seite inklusive der Dachterrasse. Auf einmal tummelten sich in den Etagen Kunsthandwerk, und Werkstätten, Design, Architektur, Proberäume, Fotostudios und ähnliches. Zwar im Vergleich zum verfügbarem Platz noch verschwindend wenig, aber es begann sich etwas zu entwickeln. Um die hundert Leute nutzten auf einmal die Freiheiten, die nur ein massiver Industriebau zu bieten hat.
„Wer immer nur in einem Hamsterrad sitzt, denkt auch bald wie ein Hamster“
Gesäumt von städteplanerischen Diskursen und politischem Gerangel rund um die Frage, was man denn mit dem Quelle-Areal anfangen sollte, vergingen vier Jahre, in denen weitgehend unter dem öffentlichen Radar einfach mal gemacht wurde was möglich war. Was es nämlich gab war Platz, und zwar weitgehend undefinierter Raum der offen war für Experimente. Die vielen Einzelgänger und Individualisten organisierten sich alsbald als Quellkollektiv e.V. und waren immer mehr Beispiel und Vorbild einer möglichen Nutzung für immerhin einen Teil des Areals. Obwohl es nie um mehr als eine Zwischennutzung ging, sorgte dieser kreative Hotspot nicht zuletzt auch dafür, dass sich Nürnberg, zusammen mit dem was schräg gegenüber auf dem alten AEG-Gelände passierte, als kreative und aufstrebende Stadt vermarkten konnte. Etwas ungewohntes und unerwartetes pulsierte. Diesen Funken nahm man von offizieller Seite her dankbar auf, obwohl man von politischer Seite her andere, klassischere Pläne für das Gebäude hatte, die nicht ganz mit einem kreativen Zeitgeist einher gingen.
Was dort entstand, bahnte sich alsbald seinen Weg an die Oberfläche. Es wurden neben vielen kleinen Konzerten und Veranstaltungen auch größere Werkschauen bzw. Festivals organisiert, bei denen die zahlreichen Besucher an dem Treiben teilhaben konnten. In drei aufeinanderfolgenden Jahren wurde die mit einem ironischen Augenzwinkern betitelte „Sommerkollektion“ in den oberen Hallen, in einem der Innenhöfe und auf der Dachterrasse veranstaltet. Hier gab es all das an Malerei, Fotografie, Kunsthandwerk und Musik zu sehen und so hören, was in den vielen Räumen und Gängen so entstand.
Nicht unerwähnt bleiben soll auch, dass es eine Vielzahl von weiteren (Zwischen)-Nutzungen gab. Sehr öffentlichkeitswirksam waren da beispielsweise die DaVinci– und Körperwelten Ausstellungen (2014 bzw. 2015) oder einige Male die Kunstmesse „supermART„. Auch gab es die Idee, ein Star Wars Holomuseum entstehen zu lassen, die leider ziemlich versandet ist. Und es wurde von den Mietern eine Crowdfunding-Kampagne gestartet, um das Gebäude zu kaufen. Selbiger ging aber schon zu Beginn die Puste aus.
Viel mediales Echo hatte es dann zur Versteigerung gegeben, eine Petition und ein Crowdfunding wurden gestartet und die ansässige kreative Szene machte auf ihre schwierige Lage abermals aufmerksam. Ein letztes Aufbäumen, denn die Zukunft war längst beschlossene Sache und wurde Anfangs ohne die Kreativwirtschaft ausgehandelt. Das Nutzungskonzept des neuen Besitzers Sonae Sierra sah Flächen für die bisherigen Mieter nicht vor. Im Nachgang gab es dann zwar Zugeständnisse und Aussicht auf eine Zukunft, dennoch musste das Gebäude zum Jahreswechsel 2015/2016 vollständig geräumt werden.
Ich selbst habe in diesem Blog dreieinhalb Jahre der bunten Zwischennutzung begleitet. Dieser Beitrag bietet eine Übersicht über vieles, was sich in dieser Zeit an subjektiven Eindrücken und Material zur Quelle in Nürnberg angesammelt hat. Viel Vergnügen beim scrollen und klicken!
An der Quelle in Nürnberg
Es kommt Leben in die Brache. Zwar im Vergleich zum verfügbarem Platz noch verschwindend wenig, aber es tut sich was. Die neuen Mieter genießen die Freiheiten die solch ein Gebäude bietet, wohl wissend, dass es möglicherweise früher oder später zu einer offiziellen bzw. kommerziellen Nachnutzung kommen kann und die Räume vielleicht auch nur für kürzere Zeit zur Verfügung stehen werden. An einem Tag im Sommer bin ich mit Freunden und Bekannten durch die Hallen geschlichen.
Über ein Dutzend Fotografen knipsen sich durch die Hallen
Fast jeder kennt Gebäude des ehemaligen Quelle-Großversandhauses. Viele waren drin um einzukaufen oder um dort zu arbeiten und jeder hat eine Meinung zu dem beigen Backsteingemäuer. Ein lohnendes Ziel also für eine Fotosafari. Und so begab es sich, dass sich eine nicht ganz kleine Gruppe aus (Hobby-)Fotografen zusammenfand, und durch das mehr oder weniger leerstehende Quelle-Gebäude stöberte.
Ausstellung der bis dato besten Fotos aus der Quelle
Quasi im Nachgang zu dem Quelle-Fotowalk wurde eine Fotosammlung zusammengetragen und eine Ausstellung organisiert. Sie dokumentierte den Zustand der ungewissen Nutzung und des großflächigen Leer- und Stillstandes, aber auch den aufkeimenden Neuanfang.
Das Franken Fernsehen würdigte die Ausstellung mit einem wunderbaren Fernsehbeitrag.
Erste Werkschau und gleichzeitig charmantes Festival
Das in den noch vor kurzem brachliegenden Räumlichkeiten wieder Leben eingekehrt ist, wurde spätestens jetzt offenkundig – es gab ein Kulturfestival. Bespielt wurde eine der Versandhallen im 4. Stock, ca. 7000-8000 m² groß, zusammen mit angrenzenden kleinen Räumlichkeiten für Tanz, Filmvorführungen und diverse Konzerte.
Akustischer Rundgang durch die Quelle
Zu Besuch in Nürnberg, auf dem ehemaligen Quelle-Gelände. Ich führte schnaufend Cornelis vom Schöne Ecken Podcast durch die nicht ganz so leeren Quelle-Hallen. Wir reden über die Nachnutzung, Getrifizierung und das Verhältnis von Hannover zu Nürnberg. Nicht zu vergessen sind viel Regen, viel Hall und ein Nürnberg, das sich von seiner kreativsten Seite zeigt.
Aka Raum Heute
Eigentlich wurde die Idee recht bald nach der Sommerkollektion im Jahr zuvor geboren. Nachdem das alte Quelle-Gebäude eine nicht unerhebliche Anzahl von Menschen beherbergt, die durchaus stark der Kunst zugeneigt sind, musste eigentlich eine Galerie her. Und so kam es dann, der Raum heute: wurde eröffnet.
Zweite Werkschau mit charmantem Festival
Ob es überhaupt eine Fortsetzung der reichlich spontan in sechs Wochen organisierten Sommerkollektion 2013 geben würde, war lange unklar. Es war lange unklar, ob die Hallen und die Dachterrasse wieder zur Verfügung stehen würden, ob das Quellkollektiv wieder die Energie und das Engagement haben würde um eine derartige Veranstaltung zu stemmen, und ob aus dem Quellegebäude nicht vielleicht sogar zwischenzeitlich eine eigentümliche Investorenidee geworden wäre. Wenn aber vieles unklar ist, soll man einfach mal Fakten schaffen. Und so entstand quasi aus dem Ärmel geschüttelt die zweite und schönere Sommerkollektion.
Atmosphärische Doku über das Quelle Versandhaus in seiner neuen Form
Zwischendurch tauchten immer wieder Arbeiten rum um die neue Quelle auf, so beispielsweise diese sehr tolle und atmosphärische Doku mit großartigen Bildern über das Quelle Versandhaus, seine Geschichte und wie die Vergangenheit derzeit durch die leeren Flächen hallt und gleichzeitig von kleinen frischen Pflänzchen neu gedeutet wird.
Fernsehbeitrag über die Quelle und wie Chancen der Nutzung nicht angegangen werden
Gegen Ende ging es dann immer mehr um die eigentliche Nutzung. Auch eine Brache, auch eine teilweise vermietete, kostet Geld, schon um sie nicht verfallen zu lassen. Und so wollte man von offizieller Seite her auch langsam mal Fakten schaffen. Es gab ja durchaus interessierte Investoren, auch wenn sie nicht gerade Schlange standen. Das Quelle-Gelände wird also zwangsversteigert. Aber was passiert danach? In Linz hat man eine brache Industrieanlage bewusst zum Kultur- und Kreativzentren umgestaltet. Ein Vorbild, dem Nürnberg leider nicht folgt.
Mit über 6.300 Unterstützern
Am 09.06.2015 wurde das Quellegebäude dann zwangsversteigert — und zwar an einen Investor, der das Gebäude entkernen und dann mit einem Einkaufszentrum, Luxuswohnungen und Büros füllen möchte. Wo weit über 100 Künstler, Selbstständige und Startups ihren Lebensunterhalt verdienen, soll in Zukunft ein weiteres, seelenloses Einkaufszentrum entstehen. Die Möglichkeiten, die solch ein Bau bietet, würde man ihn weiter für die Kreativwirtschaft nutzbar machen, werden vertan. Der Quellkollektiv e.V., das Netzwerk der Kreativen im Quellegebäude, startet eine Petition: Quelle retten! Für eine Stadt voller Ideen und Entwicklungsmöglichkeiten.
Das Ende wird offiziell mit der Versteigerung eingeleitet
Sonae Sierra hat als einziger Bieter bei einer Zwangsversteigerung den Zuschlag für das Quelle-Gelände bekommen. Der Spezialist innovationsarme Immobilienkonzepte plant für die Quelle auch in Zeiten von Internet, Amazon und Umsatzrückgang im Einzelhandel unter anderem Flächen für eben jenen, dazu Büros, Wohnungen und Parkplätze.
Tanzen auf Ruinen. Die dritte Werkschau mit Festival
Zum dritten und bisher letzten Mal eröffnete das Quellkollektiv die Pforten des Quelle-Gebäudes. Zu sehen gab es eine umfangreiche Werkschau der auf dem Quelle-Areal ansässigen Künstler, Musiker und Kreativen.
Querbeet zusammengewürfeltes Filmmaterial aus 4 Jahren Quelle
Schöne Erinnerungen werden wach. Lukas ist bzw. war nicht nur einer der Mieter in der Quelle, er hat das ganze Treiben in diesem Mikrokosmos auch filmisch dokumentiert. In kurzen Sequenzen sehen wir viele Szenen hinter den Kulissen der Sommerkollektionen, Eindrücke aus den Ateliers und diverse Stilleben aus den riesigen leeren Lagerhallen. Alles sehr sehenswert.
Eine Übersicht über alle Videos gibt es hier.
Während Räumung des Gebäudes
Kurz vor der Räumung war ich dann nochmal mit der Kamera im Gebäude unterwegs. Fast so wie beim ersten mal, nur diesmal mit der Geschichte der Zwischennutzung. Auf den Fotos sieht man Relikte des bunten Treibens, aber auch viele leere und vermutlich auch unentdeckte Hallen. 250.000 Quadratmeter erschließen sich einem auch nicht so über Nacht und auch nicht unbedingt in mehreren Jahren.
Enttäuschung über das Ende des visionären Stadtprojekts
Unbekannte verwüsten Teile des Quelle-Geländes. Es gibt aufgebrochene Türen, ausgegossene Farbeimer, besprühte Wände und Berge von Müll. Die Lokalpresse stürzt sich recht hämisch auf die Geschichte.
Alternativer Nutzungsplan vom Archtiekten der Quelle Ernst Neufert
Während das Quelle-Gebäude geräumt wird, hat eine kleine Gruppe unbehelligt durchgearbeitet und ein neues Puzzleteil an die Oberfläche gebracht. Es handelt sich dabei wohl um die Aufzeichnung eines privaten Gesprächs aus den 1950er Jahren mit dem Bauhaus-Architekten Ernst Neufert. Im Zuge von Recherchen um das ominöse Dokument fand man heraus, dass Neufert tatsächlich bereits zu Lebzeiten eine visionäre Zweitnutzung für die Ära nach dem Ende des Versandhauses Quelle vorgesehen hatte. Für die mittlerweile geräumte Quelle kommt diese Nachricht zu spät. Dennoch liefert man mit diesem Hinweis einen großen Denkanstoß und man wirft die Frage auf, wie wir in einer Stadt eigentlich leben wollen.